Als Seth nach
Havenborn einreiste, musste er ganz von vorn anfangen - wieder einmal.
„Naja, es ist ja
nicht das erste Mal, aber vielleicht wird es der letzte Neuanfang
sein.“ dachte er bei sich. Er war schließlich auch nicht mehr der
Jüngste.
Aber das war eben das Los als Weltenbummler.
Seth Peche. Er war
das jüngste von sieben Kindern. Seine Eltern nannten im Elsass an
der deutsch-französischen Grenze eine kleine Pfirsichplantage ihr
Eigen. Daher wollte seine Mutter ihn „Pfirsich Nummer Sieben“
nennen, also „Pêche Sept“. Nur durch die Intervention des
Standesbeamten, der für die Namenseintragungen zuständig war, wurde
aus dem „Sept“ am Ende „Seth“. Auch nicht wirklich toll, aber
immer noch besser als „Sieben“ zu heissen.
Von seinem ersten
Verdienst auf der Apfelplantage (das war ja fast wie zuhause) kaufte er sich
einen kleinen Peugeot und schaute sich ausführlich in seiner neuen
Heimat um. Viel Schönes gab es da zu sehen, aber auch viel
anstehende Arbeit für die Verwaltung wurde offensichtlich. Allenthalben sah man aber Inselbedienstete an der Arbeit, und die Fortschritte waren wirklich erstaunlich.
Seth schlug sich mit
kleinen Auftragsarbeiten durch, deren Ertrag meist für Sprit und
Reparaturen des kleinen Peugeot ausgegeben wurden. Kurierdienste,
kleinere Transportaufgaben und mehr und mehr handwerkliche
Tätigkeiten füllten seine Tage, und manchmal auch die Nächte.
Doch nach kurzer
Zeit entdeckte Seth auch die unschönen Seiten der neuen Welt.
Konvois von LKWs,
vollgestopft mit Drogen und bewacht von schwerbewaffneten Söldnern,
konnte er ausmachen.
Auf all den Inseln,
und in all den Ländern, die er in seinem Leben schon besucht hatte,
waren immer wieder Menschen der Illusion vom schnellen Geld erlegen.
Doch Seth wusste:
wer einmal in die Illegalität abgerutscht war, kam meist nie wieder
aus dem Milieu heraus. Wie in einem Loch voller Treibsand, führte
alles Strampeln nur dazu, dass man immer weiter versank, bis man dann
ganz verschlungen wurde.
Er hatte für sich
schon vor langer Zeit beschlossen, seinen Lebensunterhalt nur mit
legalen Mitteln zu finanzieren. Vielleicht auch deswegen führ er
auch nach einigen Wochen noch immer in einem kleinen Kangoo herum,
während andere schon riesige LKWs und mehrere Sportwagen in der
Garage stehen hatten. Man möchte natürlich niemandem etwas
unterstellen…
Als er dann endlich
so weit war, sich für einen ganzen Monatslohn einen großen Rucksack
kaufen zu können, fasste er den Beschluss sich mit der Schneiderei
zu beschäftigen. Wenn ein Rucksack soviel kostete wie ein Auto,
dann sollte damit doch legal etwas zu verdienen sein.
Seth erlernte das
Schneiderhandwerk. Sein Lehrmeister entließ ihn mit den Worten „Mit
einer Nähmaschine, Stoff und Leder kannst Du nun mithelfen, unsere
Inselbewohner besser auszustatten.“ So marschierte Seth
frohen Mutes und voller bester Vorsätze in den nächsten Supermarkt.
„Eine … WAS
bitte?“ ... Der Blick des Filialleiters hätte nicht verständnisloser
sein können. Als ob Seth sich nach einer fliegenden Untertasse
informiert hätte. „So etwas führen wir nicht!“ fügte er kurz
angebunden hinzu und wandte sich dem nächsten Kunden zu, der ihm mit
einer Flasche Wasser und einem Päckchen Bandagen eine einfacher lösbare
Aufgabe stellte.
Nach einigen Tagen
und unzähligen vergleichbaren Szenen las Seth in der „Bad
Ohrendorf Postille“ einen Leserbrief, in dem sich ein Mitbürger
darüber beschwerte, dass der Schmied ihn beim Bau einer Nähmaschine
über den Leisten gezogen habe. Endlich wurde es ihm klar: man
konnte wirklich keine Nähmaschine kaufen, man musste sie sich beim
Schmied bauen lassen!
Das Sammeln der
Materialien erwies sich als deutlich schwieriger als erwartet. Der
Schmied verlangte nur verarbeitetes Material, darunter auch Plastik
und Stahl. Keine leichte Aufgabe.
Als Seth dann
endlich seine Nähmaschine in den Kofferraum seines Fahrzeuges laden
konnte, war er voller Tatendrang.
Leider vergaß Seth, müde
vom Beschaffen der Rohstoffe, seinen Wagen in der Garage zu
verschließen. Als er am nächsten Morgen seine Schneidertätigkeit
beginnen wollte, war die Nähmaschine verschwunden!
Seine zweite
Nähmaschine behütete er daher besser und trug sie in seinem
Rucksack (eben jener, der teurer war als sein treuer Kangoo) bei
sich. Als er jedoch eines morgens aufwachte, musste er mit Entsetzen
feststellen, dass er offenbar ausgeraubt worden war. Nur seine
Unterwäsche hatten die Diebe ihm gelassen.
Damit war für eine
ganze Weile nicht mehr an eine neue Nähmaschine zu denken, musste er
doch erst einmal wieder enorme Geldsummen für Kleidung und Werkzeug
ausgeben.
Nachdem Nachrichten
über die ersten Überfälle auf der Insel die Runde machten,
investierte Seth auch noch einen erheblichen Betrag in eine Waffe,
und natürlich in die erforderliche Lizenz dafür.
Glücklicherweise
wurde seine Sach- und Rechtskundeprüfung anerkannt, so dass er nur
die Lizenz benötigte.
Erst danach ließ er
sich beim Schmied, mit dem er inzwischen schon „per Du“ war,
seine Nähmaschine Nummer Drei fertigen. Dies allerdings nur, um
festzustellen, dass auch die erforderlichen Rohstoffe für die
Schneiderei nirgends zu kaufen waren.
Wie aber sagt ein
altes, havenbornisches Sprichwort? „Erst wenn Du selbst Dein Leder
gerbst, und erst wenn Du selbst Deine Wolle spinnst, erst dann bist
Du ein guter Schneider!“.
Die Jagdausbildung
war langwierig und teuer. Seth lernte viel über waidmännisches
Erlegen von Wild, über die Verwertung und natürlich auch über die
rechtlichen Regelungen. Bislang hatte er Waffen ja nur zu *räusper*
anderen Zwecken eingesetzt.
Doch
mit dem Jagdausbilder war es wie mit dem Schneidermeister. „Gehe
hin und trage mit Deinem neuen Wissen und Deinen neuen Fähigkeiten
zum Wohlstand der Insel bei“, verabschiedete er ihn. Doch eine
Jagdwaffe konnte er nicht anbieten. „Geh zum Händler im
Militärlager“ erhielt Seth als Antwort auf seine diesbezügliche
Frage.
Der
Militärausstatter zeigte Seth eine Auswahl an weiteren Kurzwaffen,
mehr jedoch hatte er nicht in seinem Lager. „Für ein Schaf oder
eine Ziege kannst Du auch eine 9mm nehmen, das reicht allemal.“ war
sein geschäftstüchtiger Kommentar.
Seth wollte jedoch lieber
mit seinem Jagdausbilder Rücksprache halten. Als er diesen fragte,
ob man mit einer 9mm auf Jagd gehen könnte, wurde der Ausbilder
zunächst bleich, dann puterrot. Seth machte sich lieber aus dem
Staub, aber er könnte noch auf der Hauptstraße den Jagdausbilder
toben und fluchen hören. Er sollte sich dort besser eine Weile nicht
mehr blicken lassen.
Etwas frustriert wandte Seth sich wieder dem Rohstoffabbau zu. Inzwischen hatte er seine ganzen Ersparnisse in seinen Plan, Schneider zu werden, investiert.
Immerhin wollte er weiterhin aufmerksam die Zeitungen studieren und mit Mitbewohnern sprechen. Er gab die Hoffnung nicht auf, irgendwann einmal Schneider zu werden!
So
ist es also noch immer nicht möglich, Rucksäcke der Marke „Seth
Sheepskin“ auf Havenborn zu erhalten. Vom Kauf der Plagiate mit
einer Wolfstatze als Logo sei aber dennoch an dieser Stelle dringend
abzuraten. 